Kleiner Klassenkampf

 

als Kammerspiel

Drama zur Finanzkrise : " Die fetten Jahre sind vorbei" als Premiere im THEATER in der LIST

 

von CHRISTIAN SEIBT

 

HANNOVER. Jule (Marie-Made­leine Krause) ist eine Kämpferin für eine bessere Welt mit zwei­felhaften Methoden. Sie hat eine Geisel, den reichen Geschäfts­mann Hardenberg (Willi Schlüter). Den fesselt sie und singt ihm mit viel Gefühl einen zur Akustikgi­tarre: „Everhody Hurts"von R.E.M. - jeder ist zuzeiten verletzend, heißt es; darin. Dann traktiert sie den Entführten mit existenziellen Fragen, die ihn mit seiner Vergan­genheit, seinen, verlorenen Idea­len und Träumen und mit seiner Unnachgiebigkeit ihr gegenüber konfrontieren - sie verursachte einen Unfallschaden an seiner Luxuskarosse, ohne versichert zu sein. Jules Freunde Peter (Cars­ten Litfin) und Jan (Anil Vural; der für den plötzlich erkrankten Tim Ritter einsprang) halten sich im Hintergrund - zwei revolutionär gesinnte Villeneinbrecher.

„Die fetten Jahre sind vorbei" heißt die Performance im Thea­ter in der List - nach dem bekann­ten Film des österreichischen Regisseurs Hans Weingartner. Ein Stück über den Wunsch nach einer gerechteren' Gesellschaft und Welt. Dabei setzen Schlüter, Sabine Mech und Sibylle Brun­ner (szenische Mitarbeit) in ihrer vielschichtigen Inszenierung den Stoff in ein filigranes Bühnen­drama um.

Das Kammerspiel beschränkt sich auf den Ort der Entführung und den heftigen verbalen Schlag­abtausch zwischen Jule und Har­denberg. In einem multimedialen Rahmen mit Bildeinblendungen, Musiksequenzen, Stimmen und Dialogen aus dem Off werden Jans und Peters Einbrüche in Villen dokumentiert, bei denen sie zwar nichts stehlen, aber zum Entset­zen der von Reisen zurückkehren­den Bewohner Möbel umstellen und Botschaften hinterlassen wie „Die fetten Jahre sind vorbei" und „Sie haben zu viel Geld. Die Erzie­hungsberechtigten". Auch die Beziehungsgeflechte des Revo­luzzer-Trios untereinander werden so festgelegt. Das Publikum wird zudem einbezogen, es gibt zuweilen direkte Ansprache durch die Protagonisten („Sieht wer glück­lich aus?"). Bezüge zu Wirtschafts­krise und Globalisierungsskanda­len tauchen auf. Das Stück atmet Brisanz. Der Zeitgeist spukt.

 

Klasse harmonieren Krause und Schlüter miteinander, sie füllen ihre Rollen mit Leben aus. Beeindruckend, wie Krause als Jule dem Entführten mit klassen­ kämpferischen Sprüchen enga­giert ins Gewissen redet und dabei immer wieder argumenta­tiv einbricht. Und spannend, wie Schlüter als harter Geschäfts­mann seinen Sinneswandel vor­gibt und von fast sentimental bis stolz über seine eigene Revoluz­zerzeit spricht.

 

Das geht nicht ohne Sarkas­mus ab: „Was früher subversiv war, kannst du heute in jedem Laden kaufen", sagt er. Am Ende langer, starker Applaus der 100 Zuschauer bei der restlos ausver­kauften Premiere. 

 

* * * * 4 Sterne